Dieses Referat wurde bei einer Anhörung vor einem Ausschuss im Niedersächsischen Landtag in Hannover von Wattführer Heino Behring (Juist) und Wattführer Willy Martens (Norderney) im Februar 2005 vorgetragen.

Es beinhaltet die Beschreibung des Zustandes des Wattenmeeres in der Vergangenheit, des momentanen Zustandes wie einen Ausblick auf absehbare zukünftige Entwicklungen.

© Copyright Hinweis: Die Verwendung des Textes wie der Bilder, auch in Auszügen, ist nur in Absprache mit dem Autor Heino Behring gestattet.

Wir danken Frau Beatrix Hassler (Schweiz) für die engagierte Mitarbeit

Das niedersächsische Wattenmeer
Bedeutung, Veränderungen und Empfehlungen zu seinem Schutz
Autor: Heino Behring, Wattführer Juist
Februar 2005

luftbild

Inhaltsverzeichnis
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1.1
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3.1.1
3.1.2
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3.1.4
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3.2.1
3.2.2
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4
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4.2
4.3
4.4
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5.1
5.2
5.3
5.4
6
7
8
Vorwort
Was wir wollen
Einleitung
Die Bedeutung des Wattenmeers
Die Bedeutung aus ökologischer Sicht
Das Wattenmeer als Regenerationsfläche
Die Funktion der Miesmuscheln
Bau einer Miesmuschelbank zu Studienzwecken
Die Funktion der Herzmuscheln
Die Bedeutung aus wirtschaftlicher Sicht
Das Watt ist Grundlage für Fisch und Fischer
Das Watt ist Grundlage für die Tourismusindustrie
Miesmuschelfischerei und Tourismusindustrie im Vergleich
Das Watt verändert sich
Die Fischbestände nehmen ab
Intakte Miesmuschelbänke werden selten
Verklappungen von Schlickbaggergut belasten das Watt
Regeneration nach Verbot der Herzmuschelfischerei
Massnahmen zum Schutz des Wattenmeers
Sofortmassnahmen
Mittelfristige Ziele
Langfristige Ziele
Und noch eine Anregung am Rande
Zusammenfassung
Schlusswort
Anhang: Kontaktadressen

1 Vorwort

Die folgenden Aussagen gründen auf Beobachtungen, die wir als Wattführer, die pro Jahr über 500 Stunden im Watt verbringen, in den letzten 40 Jahren gemacht haben. Die Darlegungen verstehen sich nicht als wissenschaftliche Abhandlung im engeren Sinn, darum verzichten wir hier bewusst darauf, unsere Beobachtungen mit Zitaten aus der wissenschaftlichen Literatur zu versehen. Es ist aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass unsere Beobachtungen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zur Herz- und Miesmuschelfischerei wissenschaftlich belegt und bestätigt sind.

Wer wir sind
* Heino Behring, geboren 13.06.1948 auf der Insel Juist, staatlich geprüfter Wattführer, seit 1963 auf Juist als Wattführer tätig. Sohn von Wattführer Alfred Behring, der seit 1950 den Lebensraum Watt studierte, sich mit seiner Natur auseinander setzte und sein Wissen seinem Sohn weitergab. Seit seiner Kindheit ist Heino Behring mit dem Lebensraum Wattenmeer vertraut. Er kennt die Ökologie dieser Naturlandschaft und ist ein intensiver Beobachter seiner Veränderungen. Er gab Volkshochschulkurse zum Thema Watt und hält auf Juist regelmässig Vorträge.

* Willy Martens, geboren am 28.05.1921, aufgewachsen auf Norderney, staatlich geprüfter Wattführer, seit 1962 als Wattführer auf Norderney tätig. Vor seiner Wattführertätigkeit fuhr Willy Martens als Kapitän eines eigenen Frachters über die Wattenmeere und arbeitete danach als Fischer auf seinem eigenen Kutter. Er ist also sowohl ein Kenner der Küsten- und Wattfischerei, als auch ein Kenner der Natur des Wattenmeers. Er engagiert sich seit Jahren für den Schutz dieser Landschaft.


1.1 Was wir wollen

Unser Anliegen ist es, dazu beizutragen, dass das empfindliche ökologische Gleichgewicht des Wattenmeers erhalten bleibt bzw. wieder hergestellt wird und das Watt weiterhin seine Funktion als bedeutende Regenerationsfläche für die Nordsee und für ganz Nordeuropa erfüllen kann. Auch wenn wir mit unseren Aussagen vielleicht Politik, zuständige Behörden oder Fischerei oft kritisieren, so ist es uns doch wichtig zu betonen, dass wir ideologische Grabenkämpfe für wenig sinnvoll halten. Unser Ziel ist es, idealerweise gemeinsame Lösungen für eine konsequent nachhaltige Nutzung des einzigartigen Lebensraums Wattenmeer zu entwickeln.


2 Einleitung

Im Folgenden werden wir die Bedeutung des Wattenmeeres für das europäische Küstengebiet schildern, und zwar sowohl aus ökologischer wie auch aus wirtschaftlicher Sicht. Anschliessend stellen wir die Veränderungen des Watten-gebietes dar, wie wir sie in unserer langjährigen Arbeit beobachten. Wir legen dar, welche Ursachen aus unserer Sicht diese Veränderungen haben und geben abschliessend Empfehlungen, durch welche Massnahmen der Lebensraum Wattenmeer regeneriert, geschützt und in seiner wichtigen Funktion für kommende Generationen erhalten werden kann.


3 Die Bedeutung des Wattenmeers

3.1 Die Bedeutung aus ökologischer Sicht

3.1.1 Das Wattenmeer als Regenerationsfläche

Das europäische Wattenmeer setzt sich aus niederländischen, deutschen und dänischen Gebieten zusammen. Das niedersächsische Wattenmeer allein umfasst 2400 km2. Insgesamt nimmt das europäische Wattenmeer eine Fläche von 10'000 km2 ein. Es ist damit das grösste zusammenhängende Wattengebiet der Erde und auf der Welt einzigartig.

Das Wattenmeer erfüllt die Funktion einer Regenerationsfläche für die Nordsee und Nordeuropa:

* Wasser wird durch Verdunstung in den globalen Kreislauf zurückgeführt.

* Die Tiere des Wattenmeers bauen im Watt entstehende und aus der Atmosphäre und von Flüssen eingebrachte organische Stoffe ab. Insbesondere die Muscheln entziehen dem Wasser auch Schadstoffe, die vom Menschen eingebracht wurden.

* Viele Tiere wie Fische, Krebse und Garnelen haben im Watt ihre Kinderstube. Hier entsteht also ein grosser Teil des Fischbestandes der Nordsee.


3.1.2 Die Funktion der Miesmuscheln

Eine ausgewachsene Miesmuschel filtriert in der Stunde über 2 Liter Wasser. Sie befreit es, wie bereits oben erwähnt, von organischen Stoffen wie zum Beispiel giftigen Mikroalgen., aber auch von eingebrachten, belastenden Schadstoffen. Sie klärt das Wasser und verhindert damit unter anderem eine Überdüngung des Wattbodens, was eine Verschlickung zur Folge hätte. Die durch Verschlickung entstehende Sauerstoffarmut im Boden würde letztlich zum Absterben der Tiere im Wattboden führen, ähnlich wie wenn über eine Wiese eine Plastikfolie gelegt würde.

Experiment zur Filterleistung der Miesmuscheln:
Zwei 1,5 Liter Gläser werden mit Schmutzwasser gefüllt. Zu einem der Gläser werden vier Miesmuscheln zugegeben. Die Gläser werden 45 Minuten stehen gelassen. Die Miesmuscheln filtrieren und reinigen das Wasser. Das Wasser im Glas mit den Muscheln ist am Ende des Experiments klar. Es könnte getrunken werden.

filter

Miesmuscheln bilden unter guten Bedingungen grosse Miesmuschelbänke. Mit ihren Byssusfäden halten sich die Muscheln gegenseitig. Werden sie nicht künstlich bewegt - wie es beim Anlegen von sogenannten Muschelkulturen geschieht - bilden sich so starke Fäden, dass sogar schwere Stürme die Altbänke nicht zerstören können.

Die Miesmuschelbänke dienen vielen Jungtieren als Kinderstube. In ihrem Schutz entwickeln sich Fische, Garnelen und Krebse. Zerstört man diese Muschelbänke, so verunmöglicht man es letztlich, dass der Fischbestand der Nordsee sich - auch bei einer nachhaltigen Befischung - erholen kann. Ein Teufelskreis also!

Miesmuschelbänke sind die Wälder, Berge und Bollwerke des Wattenmeeres: Wie die Bäume den Wind brechen, so brechen sie die Wellen und stabilisieren die Strömungsverhältnisse, was letztlich Priele und natürliche Fahrwasser schützt. Sie stabilisieren die Bodenschichten und verhindern schnelle Veränderungen der Morphologie des Bodens und Sedimentverschiebungen. Solche Veränderungen nach Zerstörung grosser Miesmuschelbänke sind anhand von Boden- und Luftaufnahmen klar zu beobachten und auch zu belegen.

Stabile, intakte Miesmuschelbänke lassen sich nach einer Zerstörung nicht leicht wieder regenerieren: Damit der Brutfall der Muscheln sich entwickeln kann, braucht es kalte, frostreiche Winter mit Eislagen auf dem Wattenmeer, und die werden bei uns infolge der globalen Klimaerwärmung immer seltener. (Einen solchen Winter mit gutem Brutfall hatten wir hier letztmals 1996.)


3.1.3 Bau einer Miesmuschelbank zu Studienzwecken

1996, nach einem dieser kalten Winter, die für die Brutfälle der Miesmuscheln günstigste Voraussetzung war, entwickelten sich auch im Juister Wattenmeer Jungmuscheln, auch Saatmuscheln genannt. Mit den Wattwanderungsgästen wurden die 10-20 cm langen Muschelstränge, bestehend aus Hunderten von nur fingernagelgrossen Einzeltieren, die an diesen Stellen nicht überlebensfähig gewesen wären, gesammelt. Über 10'000 Eimer dieser Muscheln wurden zwischen 1996 und 1998 zusammengetragen und in der tieferen Zone der Juister Balje abgelegt. Dadurch wurden drei künstliche Miesmuschelbänke angelegt. Bis 2004 wurden die Bänke beobachtet und die Entwicklung dokumentiert.

Sehr schön konnte nachgewiesen werden, dass sich um die Bänke herum kleine Wasserkolks (Tümpel) bildeten. Und gerade in diesen Kolks liess sich eine grosse Anzahl Jungfische und Junggarnelen finden, die sich hier im Schutz der Mies-muschelbänke entwickeln konnten. Das zeigt deutlich, dass die Miesmuschelbänke eine wichtige Funktion bei der Entwicklung der Fischbestände übernehmen.


3.1.4 Die Funktion der Herzmuscheln

Herzmuscheln befinden sich in unterschiedlichen Grössen (1 - 50mm) unter der Wattbodenoberfläche. Sie bewegen sich bei Flut näher zur Bodenoberfläche, bei ablaufendem Wasser verschwinden sie wieder tiefer im Sand. Sie legen dabei einen V-förmigen Weg zurück und pflügen so den Wattboden von oben nach unten und sorgen damit für eine gute Belüftung. Das ist sehr wichtig, denn in einer Tiefe von bis 10 cm befindet sich der grösste Teil des jungen Lebens im Wattboden. Herzmuscheln pflügen aber nicht nur den Boden, sie stabilisieren ihn auch: Sie halten die Bodenschichten zusammen und verhindern Bodenerosion. Herzmuscheln filtrieren ebenfalls das Wasser und tragen damit zu einer guten Wasserqualität bei.


3.2 Die Bedeutung aus wirtschaftlicher Sicht

3.2.1 Das Watt ist Grundlage für Fisch und Fischer

Wir haben es bereits erwähnt: Ein Wattenmeer mit intakten Miesmuschelbänken ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich Jungfische entwickeln können. Ein grosser Teil des Fischbestandes der Nordsee entwickelt sich im Schutz der Muschelbänke. Die Fischer müssten also letztlich am Schutz der Miesmuschelbänke interessiert sein, die schliesslich Voraussetzung für eine Regeneration des Fischbestandes der Nordsee sind. Werden die Miesmuschelbänke übermässig zerstört, fehlt den Jungfischen die "Kinderstube". Zerstört die Fischereiindustrie die Miesmuschelbänke, zerstört sie sich letztlich ihre eigene Existenzgrundlage!


3.2.2 Das Watt ist Grundlage für die Tourismusindustrie

Auf den ostfriesischen Inseln und an der Küste leben etwa 100'000 Menschen vom Tourismus: Hotelbetriebe, Vermieter von Ferienwohnungen, Gaststätten, Museen, aber auch Fährbetriebe, die Bahn und viele mehr, sind darauf angewiesen, dass die Region für Gäste attraktiv ist und bleibt.

Attraktiv ist die Ferienregion Nordsee aber nur, wenn die berühmte gute Luft rein bleibt, die See zum Baden taugt und das Wattenmeer als einzigartiger Erlebnisraum intakt ist. So wie ein schönes Haus an Reiz verliert, wenn sein Garten zerstört ist und es dort fault und gammelt, so verlieren auch die schönsten Hotels und Ferienwohnungen in der Region an Attraktivität, wenn die Umgebung belastet oder geschädigt ist. Die meisten Gäste, die an die Nordsee fahren, wollen sich in einer intakten Naturlandschaft erholen. Sie wollen keine schwarzen Flecken sehen, Fäulnisgerüche riechen oder Badeverbote. Das wurde sehr deutlich, als 1995/96 negative Meldungen über den Zustand der Nordsee und der Wattengebiete durch die Presse gingen: Die Besucherzahlen sind in der Folge vorübergehend zurück-gegangen.


3.2.3 Miesmuschelfischerei und Tourismusindustrie im Vergleich

Die Fischereiindustrie hat eine starke Lobby, die sich Gehör verschaffen kann, um ihre Interessen, die aber oft, wie uns scheint, dem Prinzip der Nachhaltigkeit zuwiderlaufen, zu vertreten und durchzusetzen. Der Tourismusindustrie fehlt unseres Erachtens diese starke Lobby. Wir als Wattführer leben auch im weitesten Sinn vom Tourismus und wir finden es wichtig, dass auch diese Seite stärker gehört wird.

Denn - und das muss in aller Deutlichkeit mal gesagt werden - es sichern weit mehr Menschen in der Region ihre Existenz durch den Tourismus als durch die Miesmuschelfischerei. Darum müssen unserer Meinung nach auch die Interessen des Tourismus mit der Forderung nach Schutz des Wattenmeers und damit nach Erhaltung der Attraktivität der Region grösseres Gewicht erhalten.


4 Das Watt verändert sich

Wir Wattführer, die im Jahr über 500 Stunden in der Naturlandschaft des Wattenmeers verbringen und durch unsere Ausbildung geschult sind, biologische Zusammenhänge zu erkennen, beobachten die Veränderungen, die sich im Wattenmeer über die letzten 40 Jahre unserer Tätigkeit vollziehen, und die wir unter anderem mit Bildern dokumentieren , mit Besorgnis.


4.1 Die Fischbestände nehmen ab

Feststellung: Seit den Siebzigerjahren sind die Fischbestände im Wattenmeer und in der Nordsee in alarmierender Weise zurückgegangen. Zwischen 1955 und 1970 konnte man aus den Juister Argen (Fischfangvorrichtungen) körbeweise Fische rausholen: Schollen, Seezungen, Steinbutt, Hornhechte, Seelachse, Aale, Tinten-fische, vereinzelt auch Kalmare - so üppig war der Tierreichtum. Heute muss man an der gleichen Stelle bei der gleichen Arge froh sein, wenn man zwei, drei Schollen aus dem Netz holt.

Ursachen des Rückgangs: Die Nordsee wurde und wird massiv überfischt. Die moderne Fangtechnik mit immer leistungsfähigeren Kuttern (mehr PS, schwereres Geschirr) erlaubt es, immer mehr Fische aus der Nordsee zu ziehen. Die Flotte ist zwar kleiner geworden, aber ihre Effizienz ist gestiegen.

Als Folge ging der Fischbestand in der Nordsee rapide zurück, die Fangquoten brachen ein. Dies versuchte man nach der Methode "Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben" zu korrigieren: Die Maschen der Fangnetze wurden enger. Immer mehr junge Fische bleiben darin hängen. Und die können dann natürlich nicht mehr mehrere Fortpflanzungszyklen durchlaufen, die Zahl ihrer Nachkommen nimmt ab. Und als Folge geht der Fischbestand noch weiter zurück.


4.2 Intakte Miesmuschelbänke werden selten

Ein junger Muschelfischer machte uns gegenüber die Aussage, dass Miesmuschelbänke noch nie höher gewesen seien als 50 cm. Für ihn stellt sich das so dar, weil er in seiner Lebensspanne tatsächlich noch nie höhere Bänke gesehen hat. Noch bis 1980 war es aber keine Seltenheit, dass Miesmuschelbänke eine Höhe von 1 bis 1.50 Meter erreichten. Wir Wattführer haben solche Bänke beobachtet und durch Bilder dokumentiert.

bank 1

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Feststellung: Solch hohe Muschelbänke haben wir in den letzten Jahren nicht mehr gesehen. Schlimmer noch: Überhaupt sind Muschelbänke, die sich in den von uns begangenen Gebieten befanden, mittlerweile verschwunden. Als Folge kommt es zu Änderungen der Strömungsverhältnisse und zu Sedimentverschiebungen. Bei Stürmen werden die Wellen weniger gebrochen und sie prallen mit höherer Energie auf die Küsten.

Wir haben es bereits erwähnt: Miesmuschelbänke sind eigentliche Kinderstuben für junge Fische, Garnelen und Krebse. Werden die Kinderstuben vernichtet, sind die Jungtiere vermehrt ihren Fressfeinden ausgesetzt und werden massiv dezimiert, noch bevor sie sich wieder fortpflanzen können. Ihr Bestand nimmt ab.

Wir beobachten auch eine massive Verbreitung der pazifischen Auster an Stellen, wo die Miesmuscheln zurückgegangen sind. Da sich die beiden Muschelarten konkurrenzieren, werden sich an den Stellen, wo sich die pazifische Auster verbreitet, keine Miesmuscheln mehr festsetzen können. (Nebenbei bemerkt: Die im Wildwuchs vorkommende pazifische Auster ist für die Fischerei uninteressant, weil sie sich nicht vermarkten lässt. Der Schutz der Miesmuschelbänke müsste also längerfristig auch im Interesse der Miesmuschelfischerei liegen!)

Durch die drastische Verringerung der Anzahl der Miesmuscheln im Watt verringert sich auch die Filtriertätigkeit und die Qualität des Wassers nimmt ab.

Ursachen des Rückgangs: Durch die erhöhte Nachfrage nach Muscheln im Binnenland wurden immer mehr Miesmuscheln aus dem Watt geholt. Die Regenerationsfähigkeit der Muscheln wurde überfordert. Die Muscheln wurden seltener. Also wurde tiefer ins Watt gefahren, um die Muscheln dort auch weg zu holen.

Ein verhängnisvolles Prinzip: Wenn an einem Ort nichts mehr zu holen ist, geht man zum nächsten Ort und holt sich dort so viel weg, bis dort auch fast nichts und schliesslich gar nichts mehr zu holen ist, dann fährt man zum nächsten Ort usw. Als Folge wird nicht nur das ökologische Gleichgewicht des Wattenmeers empfindlich gestört, auch ökonomisch macht dieses Vorgehen mittel- und längerfristig keinen Sinn, weil sich so die Miesmuschelfischerei selber ihre Existenzgrundlage zerstört.


4.3 Verklappungen von Schlickbaggergut belasten das Watt

Häfen sind immer Schlickproduktionsstätten, denn Hafenbecken werden bei Ebbe zu Brackwasserbecken, was Schlick förmlich erzeugt. Um die Hafeneinfahrten offen zu halten, muss dieser Schlick aus den Häfen entfernt werden.

verklappung

Das Baggergut aus den ostfriesischen Häfen von Emden bis Wilhelmshaven wird noch immer in grossem Stil in den Wattgebieten verklappt. Unter Verklappung versteht man das Aufnehmen von Feinsedimenten mit einem Saugbagger und das Abladen im Wattenmeer. Dieser Schlick, der neben natürlichen organischen Resten auch toxische Stoffe wie Spuren von Schiffsanstrichen enthält, erstickt das Leben unter sich. Die Sedimentwolke, die sich bei Verklappungen auf den Wattboden senkt, lässt sich auch auf Luftaufnahmen gut erkennen. Die Wirkung der Verklappung soll noch mit einem Vergleich deutlich gemacht werden: Wie wenn wir mit einer riesigen Staubbombe beschossen würden, die uns den Atem nimmt, so nimmt die ausgebrachte Schwebstoffwolke, die sich dann verdichtet, dem Wattboden den Sauerstoff weg. Als Folge des Sauerstoffmangels sterben grosse Mengen von Krebsen ab und noch intakter Wattboden wird geschädigt, weil die Regenerations-fähigkeit der Natur überfordert wird.

Die Verklappung mag eine billige Art sein, Schlick aus den Häfen zu entsorgen, für den Lebensraum Watt stellt sie aber eine grosse Belastung dar, die uns alle letzt-endlich teuer zu stehen kommen kann.


4.4 Regeneration nach Verbot der Herzmuschelfischerei

Bis 1990 durften Herzmuscheln gefischt werden. Das wurde ausdrücklich als unbedenklich für die Natur des Wattenmeers deklariert. Bei Ebbe aber, wenn wir Wattführer ins Watt gehen, wurden nach und nach die katastrophalen Auswirkungen sichtbar. Durch die Berichterstattung in der Presse wurden diese Schäden publik, viele Gäste waren empört und starteten mit uns Wattführern eine Resolution an die Niedersächsische Landesregierung in Hannover mit der gefordert wurde, die Herzmuschelfischerei einzustellen. Da wir die Schäden gut dokumentieren konnten, wurde erreicht, dass die Herzmuschelfischerei schliesslich verboten wurde.

muscheln

Erfreulich: Die Natur hat die gröbsten Schäden repariert, der Wattboden hat sich, zumindest teilweise, erholt. Erfreulich aber auch, dass es möglich war, zusammen mit der Muschelfischerei eine Lösung zu finden. Das gibt uns die Hoffnung, dass es auch möglich sein wird, bezüglich der Miesmuschelfischerei eine nachhaltige, naturverträgliche Lösung zu finden, und zwar bevor wieder so grosse Schäden wie bei der Herzmuschelfischerei entstehen. Es dient uns allen, wenn wir aus Fehlern der Vergangenheit lernen und sie nicht wiederholen.


5 Massnahmen zum Schutz des Wattenmeers

Wir Wattführer sind intensive Beobachter des Wattenmeers. Wir haben uns fundierte Kenntnisse über seine Ökologie angeeignet und registrieren durch unsere Arbeit wohl als Erste Veränderungen, die sein sensibles Gleichgewicht stören. Wir wissen um die Bedeutung eines intakten Wattenmeers und engagieren uns für seinen Schutz. Um das Wattenmeer auch für kommende Generationen in seiner wichtigen Funktion zu erhalten, empfehlen wir folgende Massnahmen:


5.1 Sofortmassnahmen

* Die Schutzbestimmungen für die Miesmuschelbänke dürfen nicht gelockert werden. Schon jetzt gehen die Miesmuschelvorkommen zurück, was deutlich zeigt, dass die jetzigen Schutzbestimmungen kaum ausreichen. Die Schutzmassnahmen jetzt zu lockern und damit weitere Schäden in Kauf zu nehmen, halten wir für unverantwortlich.

* Verzicht auf die Miesmuschelfischerei in trocken fallenden Wattgebieten auch in Niedersachsen (in Schleswig-Holstein sind diese Wattgebiete bereits geschützt).

* Verzicht auf Verklappungen an ökologisch hoch empfindlichen Stellen.


5.2 Mittelfristige Ziele

* Gänzlicher Verzicht auf die Verklappungen. Häfen sind künstliche Gebilde. Hier ist es unsinnig zu sagen, was im Watt entsteht, muss auch wieder ins Watt zurück. Der Schlick belastet den Wattboden und schädigt die Tierwelt. Der Schlick aus den Häfen soll an Land verbracht und dort umweltverträglich entsorgt werden. Noch besser: Das Baggergut soll aufbereitet und wiederverwertet werden. In getrockneter Form kann es als Klei für den Deichbau und für die Vorlandgewinnung genutzt werden. Das mag kurzfristig gesehen teurer sein als die heutige Lösung, im Sinne der Nachhaltigkeit wird sich das aber bezahlt machen.

Zur Erinnerung: Noch vor.1990 wurde Dünnsäure verklappt. Eine Aufbereitung und Wiederverwertung sei nicht möglich, hiess es damals. Schäden wurden in Kauf genommen. Heute wird keine Dünnsäure mehr verklappt. Sie wird aufbereitet und ist auf dem Markt ein wiederverwertbarer Stoff.

* Schaffung von konsequent geschützten, ausreichend grossen Wattgebieten und Abschaffung von unsinnigen Ausnahmeregelungen. Heute nämlich haben wir die Situation, dass in bestimmte Zonen des Watts keine Segelboote hinein fahren dürfen. Durch Sondergenehmigungen aber dürfen Miesmuschelkutter in die gleichen Zonen fahren und Muscheln ernten.

* Schaffung einheitlicher Schutzbestimmungen für die Wattgebiete Deutschlands. Heute haben wir die wenig sinnvolle Situation, dass Niedersachsen und Schleswig-Holstein unterschiedliche Regelungen haben. Da Schleswig-Holstein seine Wattgebiete heute besser schützt als Nieder-sachsen, soll Niedersachsen sich den Schutzbestimmungen Schleswig-Holsteins anpassen.

* Erarbeitung und Umsetzung eines Gesetzes über die Miesmuschelfischerei nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Konkret heisst das: Reduktion der Miesmuschelfischerei, bis sich die Bestände erholt und auf dem Niveau von 1980 stabilisiert haben. "Nach mir die Sinflut"-Denken darf in Umweltbelangen keinen Platz mehr haben. Wir alle sind aufgerufen, eine Politik zu unterstützen, die über die Legislaturperiode hinaus in die Zukunft denkt. Wenn uns die Nordsee und das Wattenmeer weiterhin ernähren sollen, so muss die Natur Zeit und Raum bekommen, sich zu regenerieren. Und, wir haben es bereits erwähnt, intakte Miesmuschelbänke in reichlicher Zahl sind eine Voraussetzung dafür, dass sich die Fischbestände überhaupt erholen können. Wir müssen akzeptieren lernen, dass bequeme, billige Lösungen auf Kosten der Natur uns teuer zu stehen kommen können.

* Zusammenschluss der Kurdirektoren der Küstenregion, um ihren Interessen mehr Gewicht zu verschaffen. Ein ökologisch intaktes Wattenmeer vor ihren Haustüren ist ebenso wichtig wie saubere Nordseebadestrände.


5.3 Langfristige Ziele

* Koordination der Politik zum Schutz des europäischen Wattenmeers. Ziel muss es sein, dass alle betroffenen Länder am gleichen Strick ziehen, und zwar in die gleiche Richtung. Nur so kann, wieder im Sinne der Nachhaltigkeit, ein effektiver Schutz dieses einzigartigen Gebiets gewährleistet werden. * Der Kollaps des Ökosystems Nordsee und Wattenmeer soll verhindert, nicht einfach aufgeschoben werden. Dafür sind geeignete Massnahmen zu planen, zu finanzieren und umzusetzen.


5.4 Und noch eine Anregung am Rande

Miesmuscheln haben einen interessanten Imagewandel hinter sich: Einst waren sie das Arme-Leute-Essen in den Küstenregionen. Dann sind sie zu einem Gourmet-essen in der Region geworden. Der Markt wurde ausgeweitet ins Binnenland, wo die Muscheln teuer verkauft werden konnte. Inzwischen ist die Miesmuschel aber zu einem Massenmarktartikel geworden, an dem sich nicht mehr so gut verdienen lässt. Anstatt nun den Gewinneinbruch durch höhere Mengen wettzumachen, mit den für die Natur üblen Folgen, könnte durch geschicktes Marketing und gute Information versucht werden, die Muscheln wieder zu einem exklusiven, teureren Gourmetessen zu machen, das vor allem in der Küstenregion verkonsumiert werden soll.


6 Zusammenfassung

Das europäische Wattenmeer ist eine bedeutende Regenerationsfläche: Durch Muscheln wird das Wasser gereinigt, durch Verdunstung wird es in den Kreislauf zurückgeführt und viele junge Fische, Garnelen und Krebse haben im Schutz der Miesmuschelbänke ihre Kinderstube.

Ein intaktes Wattenmeer mit einem stabilen ökologische Gleichgewicht ist die Existenzgrundlage für viele Menschen in der Region. Als einzigartige Erlebnislandschaft zieht sie Gäste an die Küste und auf die Inseln, als Kinderstube für Jungfische trägt sie dazu bei, dass Fischer überhaupt noch Fische in der Nordsee fangen können.

Nun beobachten wir Wattführer aber seit Jahren mit Sorge, dass die Tierwelt des Watts verarmt und die Qualität der Wattböden abnimmt. Immer grössere Flächen verschlicken, was zum Absterben der Tierwelt führen kann. Insbesondere fällt auf, dass ausgedehnte, hohe Miesmuschelbänke selten werden bzw. verschwinden. Zusätzlich belastet wird der Wattboden durch die Verklappungen von Baggergut aus den Häfen.

Wir erachten es für dringend notwendig, den Schutz der Wattengebiete auszubauen. Leitmotiv bei allen Massnahmen muss das Prinzip der Nachhaltigkeit sein, denn wir tragen auch eine Verantwortung für kommenden Generationen!

Wir fordern, dass der Schutz der Miesmuscheln nicht abgebaut, sondern ausgebaut wird, im Minimum bis sich die Bestände erholt und stabilisiert haben. Baggergut aus den Häfen soll nicht mehr verklappt werden, sondern an Land verbracht und entsorgt oder wiederverwertet werden. Es sollen Anstrengungen unternommen werden, die Politik zum Schutz der Wattenmeere zu koordinieren und damit effizienter zu machen.

Ziel der Bemühungen im Interesse aller muss die Regeneration und der Erhalt dieses einzigartigen Lebensraums sein, von dem auch wir letztendlich leben.


7 Schlusswort

Uns Wattführern wird oft vorgeworfen, wir seien Schwarzmaler oder Fischereigegner. Wir sind aber einfach Beobachter, die sich intensiv mit der Natur des Watts auseinandersetzen und dabei Veränderungen wahrnehmen, die wir als problematisch erachten. Wir sind überzeugt davon, dass nachhaltige Befischung dem Watt nicht schadet. Bei unserer Arbeit im Watt sehen wir aber auch, dass die Regenerationsfähigkeit der Natur überfordert ist, und wir schliessen daraus, dass die jetzigen Schutzbestimmungen nicht genügend greifen und darum ausgebaut werden sollen.

Wir alle leben von der Natur. Sie ist in jeder Hinsicht unsere Existenzgrundlage. Zerstören wir sie nicht, sondern schützen wir sie - auch im Interesse unserer Nachkommen!


8 Anhang

Kontaktadressen:

Heino Behring
Wattführer
Tel. 04935 / 339
Handy 0171 522 58 50
Rosengang 2
26571 Juist

Willy Martens
Wattführer
Tel. 04932 / 2278
Im Gewerbegelände 9
26548 Norderney

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